Katharina, die meisten Menschen kennen dich als Sängerin und Songwriterin der Rainbirds. Euer größter Hit „Blueprint“ feiert gerade Jubiläum mit einer speziellen Vinyl-EP. Im Radio wird „Blueprint“ als „Golden Oldie“ oft gespielt. Wirst du nach all den Jahren immer noch auf den Song angesprochen?

„Blueprint“ ist sicherlich der bekannteste meiner Songs. Menschen, die weder Rainbirds kennen oder wissen, dass ich Sängerin, Songwriterin und Gründerin der Band bin, kennen den Song, tanzen zu ihm oder haben irgendeine tiefergehende Geschichte mit ihm erlebt. Die Zeit, in der ich damit gehadert habe, auf einen Song reduziert zu werden, liegt mittlerweile schon viele Jahre zurück.

Die Rainbirds wurden von dir 1986 in West-Berlin gegründet. Wie hat die Musikszene in West-Berlin zur Zeit der Gründung ausgesehen? Die große Zeit der Neuen Deutschen Welle war ja gerade vorbei, West-Berlin hat damals während der Teilung Deutschlands und durch seine spezielle geografische Position, umgeben von der DDR, auf viele MusikerInnen eine ganz besondere Anziehung ausgeübt. An welche Bands erinnerst du dich noch?

Eines meiner Lieblingsalben war damals „Swordfishtrombones“ von Tom Waits. Die Komposition „Rainbirds“ ist der letzte Titel auf der B-Seite des Albums und war für mich damals der Soundtrack zu einem Gefühl von Zusammenhalt und Freiheit. Es gab zu jener Zeit die unterschiedlichsten Musikszenen, die sich selten und eher zaghaft überschnitten. Es existierte eine große 60ies und Garagebands-Szene, zu der ich kurz vor meiner Rainbirds-Gründung aber eher zufällig stieß. Es gab Punk und Rockabilly, die Einstürzenden Neubauten, aber eben auch Nena und Interzone und natürlich Ideal und Neonbabies. Da war auch eine große Szene von Musikern, die sich eher an intellektueller amerikanischer Musik orientierten, wie zum Beispiel an Steely Dan. Es gab etliche Bands, die Soul- und Funkartige Musik spielten und dann waren da noch die Genialen Dilletanten, die Tödliche Doris, Santrra Oxyd, die mit Akkordeon auftrat. Man konnte nicht überall sein und gleichzeitig selber an etwas arbeiten. „X-mal Deutschland“ war, glaube ich, die erste Band, die ich jemals gesehen hatte, in der ausschließlich Frauen spielten. Ich war damals ganz neu in Berlin und dachte, was die können, kann ich besser. Es war genau so vielfältig wie heute und auch damals habe ich nur einen Bruchteil von allem mitbekommen.

Ein wichtiger Teil von „Blueprint“ ist das ungewöhnliche Arrangement des Songs, Ist es wahr, dass dieses erst direkt im Studio bei den Aufnahmen zur gleichnamigen Debüt-LP, die 1987 veröffentlicht wurde, entstand? 

Nein, nicht ganz. Die beiden Intros, also das kompliziertere Riff am Anfang und die Gitarrenmelodie bevor der Gesang einsetzt (und im Prinzip der komplette Ablauf des Songs), waren so schon vorhanden, als wir anfingen mit dem Gitarrist Peter Weihe und Produzent Udo Arndt zu arbeiten. Aber die Essenz aller bereits vorhandenen Teile und der Groove und die Energie der Aufnahme wurden herausgearbeitet beziehungsweise herausgestellt. Nach dem Motto: weniger ist mehr. Das einzige Demo, das es von dem Song gibt, ist so folkig, dass die Power, die schon damals in meiner Performance lag, nur durch noch mehr Spuren und Gimmicks aller Art im Playback unterfüttert werden konnte. Da waren auch einige Geschmacksverirrungen dabei. Deswegen bleibt die Aufnahme auch im sogenannten „Giftschrank“.

Nach dem Ende der Rainbirds hast du eine Solo-Karriere gestartet und auch viel mit anderen Künstler*innen zusammengearbeitet. 2018 hast du mit „Musik, Musik“ erstmals ein Album mit rein deutschen Songtexten veröffentlicht. Warum hast du damals begonnen Lieder in Deutsch zu verfassen?

Ich habe erstmals in Deutsch geschrieben als ich bei der Gruppe „STEIN“ war. „Konig Zucker“ war dann mein erster veröffentlichter gesprochener Popsong, später erschienen die Alben „Hunger“, „Zeitlupenkino“, auf dem ich den Song „Sie schickt mir eine Karte aus Cádiz“ singe, und schließlich im Jahr 2010, mein Mitwirken im Reinhardt Repkes‘ „Club der Toten Dichter“ mit „Eines Wunders Melodie Rainer Maria Rilke neu vertont“. Da bin ich zwar vor allem Interpretin, schrieb aber den Song „Ich lese es heraus“ für dieses Programm und habe mir mit Hilfe von Rilkes Gedichten eine Form zu singen erschlossen, die dann auch für meine eigenen Texte in Frage kam. Es war ein längerer Prozess, dieses Selbstverständnis beim Singen der deutschen Sprache zu erlangen. Ob es daran lag, weil ich eben mit englisch- und portugiesischsprachiger Musik aufgewachsen war, weiß ich nicht. Aber ich habe lange damit gefremdelt in Deutsch zu singen, trotz der Vorbilder wie Nina Hagen und Udo Lindenberg.

Du bist im Herbst 2023 bei einem großteils mit Musikerinnen besetzten All Star-Tribute-Konzert zu Ehren von Joni Mitchell in Hamburg aufgetreten. Hat dich Joni Mitchell in deinem Songwriting als junge Musikerin sehr beeinflusst? Wer waren sonst noch wichtige Inspirationen?

In der Zeit meiner Anfänge als Songwriterin, war mir nicht bewusst, dass man meine Art zu schreiben einmal mit Joni Mitchells Songwriting vergleichen würde. Man muss da auch wissen, dass zu der Zeit, und heute ist es fast nicht anders, irgendwie alle Mädchen oder Frauen, die sich selbst an der Gitarre begleiten, mit Joni Mitchell verglichen werden. Da ich als souliger empfunden wurde, hieß es auch eine Weile in Berlin, ich sei die Joan Armatrading für Arme. Heut käme niemand mehr darauf, so etwas zu schreiben, ob nun für Arme oder nicht. Fakt ist, dass ich als Kind von Jazz, Rock, Klezmer, Fado und sehr viel brasilianischer Musik umgeben war, aber dennoch The Who-Fan wurde und meine persönliche musikalisch/künstlerische Epiphanie mit Patti Smith und ihrem Debut „Horses“ 1975 hatte.

Welche Dinge inspirieren dich einen Song zu schreiben? Kommt bei dir zuerst der Text oder die Musik?

In der Regel kommt erst die Musik und dann der Text. Bei deutschen Texten manchmal auch umgekehrt. Ich kann auch ganz gut mit Vorgaben texten, also zum Beispiel den Text für einen Song schreiben, der an einer bestimmten Stelle in einem Film verwendet werden soll. Da kann es auch nur um eine Stimmung oder Szenerie gehen, der Rest ist frei. Ich versuche sehr aufmerksam durch meine Umgebung zu gehen. Irgendwann tauchen die Beobachtungen und Gedanken, die ich mir darüber gemacht habe, in meinen Texten auf. Selbstgemachte Cut-ups (Eine Technik, bei der ein Text oder mehrere Texte zerschnitten und neu angeordnet werden, um neue Sinnzusammenhänge zu erstellen, Anm. d. Red.) sind auch wichtige Inspirationsquellen, manchmal veröffentliche ich auch welche davon. Manchmal lese oder höre ich einen Satz, der mich besonders berührt und schreibe dann etwas zum Thema.

Mit „Beule von Wien“ hast du vor vielen Jahren sogar mal einen Song mit Wien-Bezug veröffentlicht. Wie ist deine Beziehung zu Wien?

Ich war lange nicht in Wien, will aber auf jeden Fall bald mal wieder hin. Viel Bezug habe ich nicht, außer über die Literatur, das Kino, Weltgeschichtliches – und Stefanie Sargnagel.

Wie lauten deine Zukunftspläne? Wird es in der nächsten Zeit wieder etwas Neues von den Rainbirds geben? 

Ich könnte jeden englischsprachigen Release unter dem Bandnamen Rainbirds rausbringen, aber das möchte ich nicht. Nach dem Rainbirds-Remade-Album „Yonder“ von 2014 habe ich dieses Kapitel abgeschlossen. Es sollte eigentlich auch ein Katharina Franck-Album werden, es sind auch Songs meiner Soloalben und unveröffentlichte Songs darauf, aber ich habe mich damals in eigenen Erinnerungen verstrickt und es war schwierig da wieder rauszukommen.

Einige ältere Rainbirds-Alben wie z.B. „Two Faces“ von 1991 wurden vor kurzem erstmals digital veröffentlicht. Leider ist die Situation derzeit so, dass bei Streaming-Diensten wie „Spotify“ nur die ganz großen Stars etwas verdienen, viele andere Musiker*innen bekommen mit den Einnahmen aus Streaming nur sehr geringe Beträge. Wie siehst du das? 

Ich sehe das sehr kritisch und bitte vor allem die reinen Nutzer*innen solcher Streaming-dienste wenigsten die Bezahlvariante der möglichen Abos zu benutzen. Und es gibt eine Petition gegen die noch krasseren Ungerechtigkeiten bei den Vergütungen, die nicht nur betroffene Künstler*innen, sondern auch dringend die User*innen unterzeichnen sollten.
Mein Katalog, egal ob Solo oder mit Band, ist über die Jahre bei vielen unterschiedlichen Plattenfirmen und Label erschienen. Wenn ich beschließen wollte, nicht digital stattzufinden, so wie Joni Mitchell und Neil Young einmal, würden einige meiner Alben trotzdem via Spotify vertrieben, weil ich darüber nicht bestimmen kann. Mir ist es daher lieber, alles in die sogenannte „Weltweite Audiothek“ zu stellen und dann eben, mit den Mitteln unserer Möglichkeiten zu versuchen, die Konditionen von innen heraus zu verbessern.

Danke für das Gespräch!

Live-Termine in Deutschland:
03.05.24 Altenburg, im Paul-Gustavus-Haus
04.05.24 Stade, Hanse Song Festival, Königsmarcksaal im Rathaus
05.05.24 Jena, im TRAFO
24.05.24 Suhl, in der Kulturvilla Sauer

Pedition: https://www.change.org/p/statement-zu-angek%C3%BCndigten-verg%C3%BCtungs%C3%A4nderungen-bei-spotify-wir-fordern-sofortigen-stopp
Katharina Franck (* 28. Juli 1963 in Düsseldorf) ist eine deutsche Sängerin und Instrumentalmusikerin. Sie wuchs in Portugal auf. Von 1974 bis 1977 lebte sie in São Paulo, Brasilien, begann Gitarre zu spielen und Songs in englischer Sprache zu schreiben. Zurück in Portugal machte sie ihre ersten Band-, Bühnen- und Studioerfahrungen. 1981 zog sie nach Köln. Es folgten erste Versuche mit Cut-ups, Gedichten und Prosa in deutscher Sprache. Beim Popkurs an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg nahm sie erste Gesangsstunden. 1983 zog sie nach Berlin und hielt sich zunächst mit Halbtagsjobs über Wasser. Im Frühjahr 1986 gründete sie die Band Rainbirds, mit der sie den Berliner Senatsrockwettbewerb gewann und daraufhin von der Schallplattenfirma Mercury (Universal) unter Vertrag genommen wurde. Die Single Blueprint wurde 1988 zum europaweiten Hit. Die Band wurde mehrmals neu formiert und veröffent-lichte insgesamt sechs Studioalben. Als letzte Veröffentlichung erschien 2014 Yonder. 1990 bis 1994 war sie Mitglied der Band Stein (neben FM Einheit von den Einstürzenden Neubauten und Ulrike Haage), mit der sie drei Alben veröffentlichte. Nach diversen Gastauftritten und einer Hörspielveröffentlichung erschien 1997 Francks erstes Soloalbum Hunger, von ihr als Gesprochene Popsongs bezeichnet. 2002 erschien das zweite Soloalbum Zeitlupenkino mit weiteren Gesprochenen Popsongs. 2006 erschien mit First Take Second Skin ein Singer-/Songwriter-Album in englischer Sprache, gefolgt von On the Verge of an Autobiography im Jahr 2008. 2010 begann die Zusammenarbeit mit Reinhardt Repkes Club der toten Dichter. Es entstand das Album Eines Wunders Melodie – Rainer Maria Rilke neu vertont. Im Dezember 2023 wurde das 35-jährige Jubiläum von Blueprint mit der Veröffentlichung einer 10“ Vinyl –EP, auf der die Studioversion sowie mehreren Live-Versionen enthalten sind, gefeiert, und die Originalbesetzung der Band traf sich zu einem kleinen Festakt bei Ihrer Plattenfirma in Berlin.
www.katharinafranck.de

Titelbild: © Joerg Steinmetz

Geschrieben von Robert Fischer